_190_ Der Henkel
1919 schrieb Georg Simmel in seiner Textsammlung Philosophische Kultur eine Abhandlung über den Henkel:
Er ist das Glied, an dem [die Vase] ergriffen, gehoben, gekippt wird, mit ihm ragt sie anschaulich in die Welt der Wirklichkeit, das heisst der Beziehungen zu allem Ausserhalb hinein, die für das Kunstwerk als solches nicht existieren.
Nun soll doch aber nicht nur der Körper der Vase zugleich den Ansprüchen der Kunst gehorchen, und die Henkel wären blosse, gegen ihren ästhetischen Formwert gleichgültige Griffe, wie die Ösen des Bilderrahmens. Sondern diese Henkel, die die Vase dem Dasein jenseits der Kunst verknüpfen, sind zugleich in die Kunstform einbezogen, sie müssen, ganz gleichgültig gegen ihren praktischen Zwecksinn, rein als Gestaltung und dadurch, dass sie mit dem Vasenkörper eine ästhetische Anschauung bilden, gerechtfertigt sein.
Durch diese zweifache Bedeutung und ihr charakteristisch deutliches Hervortreten wird der Henkel zu einem der nachdenklichsten ästhetischen Probleme.
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