Frische und Kaffee
Es ist kompliziert…
Das Haltbarkeitsdatum lässt es nicht vermuten: Kaffee verliert schnell an Geschmack. Doch mit einem simplen „am besten gleich nach Röstung trinken“ ist man nicht gut beraten. Diese Sache ist etwas kompliziert, aber schnell genug erklärt, dass sich am Weg auch einige praktikable Tipps für die richtige Lagerung einbauen lassen.
Frische als Regionalität und Saisonalität
Ich sagte es schon einmal: aber wenn man über Jahre Single Origins trinkt, dann wird man erfahrungsgemäß mit ihrer jeweiligen Saisonalität konfrontiert. Auch wenn es einige Monate dauert, bis der Rohkaffee den weiten Weg aus den Tropen in die europäischen Röstereien gefunden hat, so ist man gut beraten, die heurige Ernte zu trinken — nur in Kolumbien gibt es zwei Ernten im Jahr.
Kleine Röstereien sind allein wegen des Platzes darauf aus, ihren Kaffee weiter zu bringen, bevor der Nächste ins Haus steht. Große Manufakturbetriebe achten wegen ihres hart erarbeiteten Rufes auch darauf keinen alten Kaffee zu verkaufen. Daher interessieren sich die begeisterten Kaffeetrinker*innen nicht so bald für das Erntedatum. Ein guter Röster ist also auch ein guter Einkäufer, der nicht auf Bohnen sitzen bleibt und daher immer im Lager hat, was die Saison gerade hergibt.
Holzige Geschmäcker sind klares Indiz für Grünkaffee, der seine beste Zeit schon hinter sich hat. Das macht ihn noch lange nicht ungenießbar. Solche Noten kaschiert man mit einer etwas dunkleren Röstung oder entsprechende Bohnen werden Teil einer Blend, worin sie nicht negativ auffallen. Man vertraue diesbezüglich dem eigenen Röster und macht sich interessehalber bei diesem schlau.
“Röstfrische“: Dicht halten
Was soll das eigentlich heißen: röstfrisch? Ich wage zu behaupten, dass dieses Wort ausschließlich in der Werbung gebraucht wird. Noch nie habe ich es in alltäglichem Sprachgebrauch vernommen. Wie hörte sich das an? "Möchtest du noch etwas Kaffee? Er ist ganz röstfrisch.“
Doch das Röstdatum sollte eine*n interessieren. Grundsätzlich gilt: Die gerösteten Bohnen müssen mit möglichst wenig Sauerstoff in Kontakt kommen. Sobald sie also aus der Rösttrommel purzeln und ausgekühlt sind, werden sie von Qualitätsbewussten Röstern schnell abgepackt. Dann kann das Kohlendioxid, dass durch die Erhitzung in der Bohne sich entwickelt hat, ausgasen. Es bleibt aber in der Packung, bläht diese auf und dichtet die Bohne ab. Die Ventile auf den Verpackungen sind also nicht da, damit man dran riechen kann — das ist ein angenehmer Nebeneffekt. Sie verhindern hauptsächlich, dass die Packung platzt.
Das Kohlendioxid, das noch in der Bohne ist, mundet nicht. Wenig überraschend äußert sich das in bitterem, rauchigem Beigeschmack. Daher ist unmittelbar nach dem Rösten kein guter Zeitpunkt zu trinken. Dunklere Röstungen brauchen länger, um mehr CO2 abzugeben, weil sie ja mehr Gelegenheit hatten es aufzunehmen.
Die Angaben, ab wann der Röstkaffee gut zu trinken ist, variieren: Ab einer Woche nach Röstdatum taugt als Faustregel: für die Espressomaschine geröstete Kaffees leicht ein wenig länger. Ist’s eilig muss es halt früher sein — davon geht die Welt nicht unter, nur die Crema ist hin. Das CO2 entweicht aus dem Getränk und löst die schaumige Schicht die drauf liegt in Luft auf. Der folgende Monat ist optimal für den Genuss. Wobei es falsch wäre zu behaupten, sobald der Kaffee ausgegast ist, sei er besser, umso früher er getrunken wird.
Lagerung: Cool bleiben
Ich hatte das Glück regelmäßig mit einem ganzen Sortiment aus einer Hand beliefert zu werden. Wenn man dann verschiedene Sorten mit gleichem Röstdatum hat, dann fällt aufmerksamen Trinker*innen auf, dass Kaffees, die vielleicht am Anfang des Monats noch unauffällig waren — „schon gut, aber nicht besonders eindrucksvoll“ — später so richtig aufblühen und die Kaffees, die man zum Favoriten erklärt hat, daneben etwas blasser wirken. Es ist eine Frage des idealen Timings und dieses ist erst in Erfahrung zu bringen.
Man braucht sich also keinen Stress machen. Deutlich abbauen werden Bohnen besonders in den Tagen, wenn das Siegel der Verpackung gebrochen ist und einmal Luft hineingekommen ist. Sobald ein Sack also offen ist, ist es empfehlenswert diesen binnen einer Woche aufzubrauchen. Wenn man von den branchenüblichen Viertelkilo- bis 350g-Packungen ausgeht, dann ist das bei nicht übertriebenem Konsum von zwei Tassen pro Tag in der besagten Woche auch von einem Single-Haushalt erledigt.
Was kann man tun, dass der Kaffee seine Frische behält? Grundsätzlich gilt es Sauerstoff fern zu halten.
- Also besser nicht umleeren in andere Behälter oder allzu viele Packungen anreißen.
- Im Kühlschrank lagern bringt nichts; wohl aber in der Tiefkühltruhe!
- In die Tiefkühltruhe sollte man aber keine ganzen Packungen geben, wenn sie ein Ventil haben. Dadurch dringt nämlich das unbeschreibliche apparat-eigene Aroma ein.
- Idealerweise portioniert man die einzelnen Kaffeepausen schon vor; holt dann direkt vor dem Brühen die luftdichten Behälter hervor, um die gefrorenen Bohnen problemlos in die Mühle zu schmeißen.
Frisch mahlen möglichst direkt vor dem Brühen ist unverzichtbar. Zwar bedarf es keiner übertriebenen Hektik — falls hier jemand denkt, dass er einen schon gemahlenen Kaffee wegschmeißen muss, nur weil er vergessen wurde und etwas herumgestanden ist — aber 24 Stunden nach Mahlung ist der sensationellste Kaffee nur mehr Schatten dessen, was er hätte sein können.
Frisch im Sinne von „brühwarm serviert“
So mancher schwört auf Kaffee „heiß wie die Hölle, süß wie die Liebe“ oder so. Die- oder derjenige könnte einwenden, ich sei viel zu kompliziert. Man erkenne frischen Kaffee ganz leicht: wenn man ihn sofort trinkt, verbrennt man sich die Zunge.
Es lohnt sich eine schlicht ‚trinkbare‘ aber immer noch als heiß empfundene Temperatur auszusitzen. Volles Potential hat man bei lauwarmen 35-50°C. Dann stellt sich (bei gelungener Zubereitung) Transparenz ein, die den Blick auf alle Aspekte der Frische frei gibt. Spezialitätenkaffee schmeckt dann ganz von selbst süß und ist voller Nuancen, die eben charakteristisch für ihn sind. Schlechter Kaffee zeigt sein wahres Gesicht und seine Röstfehler. (Das ist übrigens beim Bier trinken ganz ähnlich: gutes Bier kann man durchaus wärmer trinken, als wir es gewohnt sind. Durch die Kälte wird oft Geschmack kompensiert, dessen Fehlen dann gar nicht mehr auffällt.)
Kalter Kaffee schließlich ist bitter. Kaffeetrinken daher eine Frage der Pünktlichkeit: man passt den idealen Zeitpunkt ab, an dem der Kaffee nicht mehr zu heiß, noch nicht zu kalt ist. Doch wie beim ersten Sonnenaufgang gilt auch für den Zweiten: wenn mit Muße genossen, ist das ganze ein Spektakel: Zwar kurzweilig, doch kein einzelner Zeitpunkt; vielmehr fließender Übergang, der sich mit Genugtuung auskosten lässt.
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