_214_ Kleidsame Kaffeetassen
Philipp Blom hat mit Aufklärung in Zeiten der Verdunkelung ein Essay in einem sehr ornamentalen Buch vorgelegt. Gemeint ist nicht der Schmuck – Einband und Schriftsatz sind stilbewusst in modern-eleganter Schlichtheit gehalten – sondern der Aufbau des Texts, dessen Kapitel sehr kurz sind, während der Endnotenapparat sich über mehr Seiten noch erstreckt und selbst wieder einen eigenständigen Text bildet, unterbrochen wiederum von als Zwischentiteln herausgegriffenen Satzzitaten. Das Hin- und Hergeblättere ermöglicht verschiedene Lesarten in verschiedenen Grade der Vertiefung, die auch bei oberflächlicher Lektüre tiefe Einblicke gewähren kann.
Kapitel 3 "Von der Autonomie" beginnt mit folgendem Absatz:
Wer über Aufklärung spricht, muss auch über Freiheit sprechen. Immer wieder wird heute von der Freiheit gesprochen, Freiheit gefordert, meistens im Zorn und sehr oft ohne die leiseste Ahnung, was damit gemeint ist. In ihrem Namen wird das Capitol in Washington gestürmt, für sie geben Hunderttausende von Menschen gegen Impfungen auf die Straße, für sie kämpfen und sterben auch Menschen in der Ukraine, auf dem Tianmen-Platz in Peking und im brasilianischen Regenwald. Gleichzeitig ist sie zu einem Slogan auf Kaffeetassen degeneriert: Freedom is all things to all men.
Und unter der dazu gesetzten Fußnote wiederum:
Meinungen sind wie Kleider. Man trägt sie nicht, weil sie wahr sind, weil sie objektiv richtig sind, sondern weil sie einen warm halten, einen nicht nackt dastehen lassen, weil man mit ihnen gut aussehen will, und gleichzeitig wie alle anderen in der Gruppe.
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