“This is some serious gourmet shit!“
Mitten in dem blutigen Desaster, in welchem sich die Killer Vince und Jules (John Travolta und Samuel L. Jackson) befinden, kommen sie nicht umhin über den Kaffee zu staunen, den ihnen Jimmy (Regisseur Quentin Tarantino selbst) im Morgenrock serviert: „Goddamn Jimmy! This is some serious gourmet shit!“ Lange bevor ich mich professionell mit Kaffee befasste, gefiel mir der Gedanke, so ein Typ zu sein: Einer, der stadtweit bekannt für seinen tollen Kaffee ist, den er daheim hat; im Gegenzug bekommt man sensationelle Geschichten brühwarm serviert. Die vielen originell verstrickten Episoden von Pulp Fiction beginnen und enden im Café. Aber bleiben wir bei Jimmy in seiner Küche…
Wieso überhaupt Spezialitätenkaffee anbieten?
Nicht nur Barista und Kellner*innen bieten laufend Kaffee an. Kaffee wird serviert um Eis zu brechen, Wartezeit zu verkürzen, bis spät in die Nacht hinein zu arbeiten. Espresso komplettiert nicht nur ein Menü nach gastronomischen Kalkül als raffinierter Digestif; ebenso wird Kaffee laufend und vollautomatisch in kleinen Plastikbechern ausgegeben. Die Anforderungen an dieses Heißgetränk sind sehr unterschiedlich und gerade wegen dieser aus seinem Nutzen resultierenden Allgegenwärtigkeit ist die Qualität nachrangig. Wie wird man also der eine Kerl, der so nebenbei alle mit seinem Kaffee beeindruckt? Und zwar so sehr, dass man sein Gegenüber wieder an die Hauptsache erinnern muss?
Hier tut sich ein Gegensatz zwischen Pulp Fiction und Realität auf. Die in der Szene intendierte Komik ergibt sich aus einem krassen Gegensatz: von grauenhaften Mord einerseits und dem idealisierten Genusswert des Morgenkaffees andererseits. Sie wird sich so im echten Leben nicht ereignen – und das nicht nur wegen des makabren Extrems auf der einen Seite. Es ist auch unrealistisch, dass jemand derart übertrieben den Morgenkaffee preist. (Freilich möchte Jules seinen Gastgeber ablenken von der Zumutung, mit der er zugleich konfrontiert wird.) Doch egal wie lange und intensiv ich an meinem Kaffee gefeilt habe, hatte dies stets wenig Resonanz zur Folge. Erst als Betreiber eines Kaffeehauses, war ich diesbezüglich als Experte verschrieen und das hat eher defensive Reaktionen zur Folge. Mir fällt kein Moment ein, dass in persönlichem Setting ein servierter Kaffee solche Begeisterung hervorgerufen hätte.
Dazu kommt, dass „serious gourmet shit“ in Sachen Kaffee sehr unterschiedliche Ergebnisse zeitigt und unerwartet oft mehr befremden hervorruft. „Das soll Kaffee sein? Ja, es schmeckt gut und komplex, aber will man das jeden Tag in der Früh trinken?“, wird dann meist spekuliert. Lohnt es sich für einen selbst mehr Zeit und Geld aufzuwenden, um einen Kaffee anzubieten, obwohl das viel mehr ist als man erwarten würde und vielleicht sogar die eine oder den anderen verprellt? Und wie Jules beteuert: "Me and Vince would have been satisfied, with some freeze dry taster's choice, right? But he brings this serious gourmet shit on! What flavour is this?"
Qualität im Kaffee zu schätzen wissen
Man sollte selbst gerne Spezialitätenkaffee trinken, um ihn glaubwürdig mit angemessenem Stolz anbieten zu können. "I don't need you to tell me how good my coffee ist. I'm the one who buys it. And I know how good it is." Aber auch jene, die bereits für sich selbst kundig speciality coffee brühen oder entsprechende Cafés aufsuchen, halten es nicht für klug selbst solchen ihren Gästen im professionellen Bereich anzubieten. Gründe dafür gibt’s viele: Wenn man nicht gerade ein speciality coffee shop betreibt, zahlt man drauf und der eigene Kunde weiß das oft gar nicht zu schätzen.
Dabei spricht das umsichtige Kaffee-Service eine universale Sprache: es wird ganz klar ersichtlich, dass dieses Getränk mit Liebe zum Detail angerichtet wurde. Man zollt dem Gegenüber Respekt und Wertschätzung, ohne nur eine Silbe gesagt zu haben. Man präsentiert sich als jemand, der Wert auch auf die Qualität von Nebensachen legt. Und eine Nebensache muss es bleiben. Der Trinkende darf mit seinem Getränk machen, was er will. Sonst ist sein Kaffee die eigene prätentiöse Marotte. Umgekehrt sagt es Jimmy selbst ungehobelt: "You know what's on my mind right now? It's not the coffee in my kitchen. It's the dead * in my garage."
In Zahlen ausgedrückt
Kann man den Qualitätsunterschied zwischen speciality coffee und commercial coffee quantifizieren? Eine Handvoll Profis machen die Ausbildung zum Q-grader. Als solche haben sie ihre Sensorik intensiv geschult, was ihnen erlaubt, die Güte eines Kaffees auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten einzuschätzen. Ab 80 Punkten spricht man von speciality coffee; ab 86 Punkten sind die Kaffees herausragend, über 90 sind Weltklasse-Kaffees, die ähnlich wie Champagner, vor allem durch sehr hohe Preise auffallen und entsprechend exklusive Getränke sind.
Man schüttelt dann den Kopf über so einen preislichen Irrsinn, und fragt: kann irgendein Geschmack das rechtfertigen? Nachdem dies so abwegig scheint, traut man sich nicht zu, die verheißene Besonderheit zu erkennen. Meine Erfahrung von öffentlichen Verkostungen ist allerdings, dass solche Unterschiede von so gut wie jedem registriert werden. Der Ausruf „This is some serious gourmet shit!“ ist wahrscheinlicher in einem Setting, in welchem konzentriert verglichen wird und man um Objektivität ringt.
Qualität, die zu Gourmets spricht, ist jedenfalls keine Frage irgendeiner obskuren Barista-Magie. Unter kundigen Röstern wird angenommen, dass es gilt, die landwirtschaftlich hervorgebrachte Qualität nicht zu übertünchen. Die bestmögliche Röstung zieht also keine Punkte vom Ausgangswert ab, der vom Q-grader bestimmt wurde und kann schon gar keine hinzufügen. Eine solch schonende Verwertung bringt natürliche Charakteristika zur Geltung und trägt keinen uniformen Röstgeschmack auf. Transparenz wird zum Ziel jedes einzelnen Zubereitungsschritts von agrarkulturellem Produkt bis zur servierten Tasse. In einer solchen Idealvorstellung offenbart sich den Trinkenden unverfälscht, was in dieser Saison die jeweiligen Kaffeebauern unter gegebenen Wetter und Boden hervorgebracht haben. „Gourmet shit“ spricht für sich selbst, aber letztlich trumpft der Kontext. Wie kann man Qualität abseits eines Verkostungs-Settings und ohne erzieherisch-paternalisierenden Kommentar vermitteln?
Qualität in großen Quantitäten
Jimmys Gourmet-Shit muss aus dem Reich der Fiktion stammen, denn so wie „Mr. Wolf“ (Harvey Keitel) kommt, um den Tag zu retten, bestellt er auch erst mal einen Kaffee — Viel Milch, viel Zucker! — und kommt nicht umhin die Qualität zu registrieren. Dabei würde von dieser nicht viel übrig bleiben, wenn sie so beliebig verpanscht wird. (Nichts gegen einen guten Cappuccino, oder vergleichbarem Kaffeemischgetränk. Doch ein solches entsteht aus einer geschmacklich sorgfältig ausgewählten Sorte, die in einem fein abgestimmten Verhältnis mit Milch harmoniert, weil er auch stark genug gebrüht ist, dass er nicht übertüncht wird.) Jimmys Kaffee überrascht aber nicht zuletzt, weil er ohne viel Getue als ordinärer Häferlkaffee ausgeschenkt wird.
Ein aus meinem Leben gegriffenes Beispiel sind die Caterings, die ich auf Tagungen veranstalte: Die Teilnehmer sind in kurzen Pausen darauf angewiesen schnell zu ihrer koffeinhaltigen Erfrischung zu kommen, bevor sie wieder zum nächsten Programmpunkt eilen. Tassenweise Espresso auszuschenken ist nicht so leicht möglich wie reichlich erstklassigen Filterkaffee anzubieten, der sogar von der Zubereitung in großen Chargen gewinnen kann. Doch wie verhindert man, dass jemand vom Kaffee enttäuscht wird, der ungünstigerweise mit Milch verwässert wird oder mit Zucker übertüncht wird? Wie kann man ohne das Gegenüber darauf hinzuweisen, dass er eben etwas Besonderes in der Tasse hat, ohne zu unterstellen dass er sich banausisch verhält, wenn er einfach seinen Kaffee so trinkt, wie sonst auch immer.
Evidenz durch Transparenz
Die Lösung ist ziemlich einfach: Man bietet zwei verschiedene Kaffees an mit deutlich unterschiedlichen Geschmacksprofilen. Es liegt nahe einmal (oft lateinamerikanische) Bohnen auszuwählen, deren Aromen klassischerweise mit Kaffee assoziiert werden: Nussige Töne, mit abgerundeten, weichem Mundgefühl; andererseits schenkt man einen lebendigen, (vielleicht ostafrikanischen) Kaffee aus mit intensiver Fruchtigkeit und saftigen, frischen Geschmäckern. Wer antritt, um sich seinen Kaffee zu holen wird schlicht gefragt: „Guatemala oder Kenia?“
Das ist nicht aufdringlich. Aber das Fragezeichen erfordert, dass man sich auf gewisse Weise zu dem Kaffee verhält, den man sich zwar abzuholen gedenkt, an den man selbst aber noch keinen Gedanken verschwendet hat — außer vielleicht, dass das Koffein dringend benötigt wird. Die Neugierigen nutzen die Chance, so selbst direkt einen Vergleich anzustellen; die Kenner sind schon dadurch fröhlich gestimmt, dass sie hier wider Erwartens gründlich zubereiteten Kaffee bekommen. Wer nach dem Unterschied fragt, will die gelisteten Geschmacksnotizen selbst überprüfen und empfinden den Vorschlag auf Milch zu verzichten nicht als übergriffig, sondern schlüssig. Und kostet er dann, wird er feststellen, dass es tatsächlich keine Zusätze braucht. Und vielleicht vergisst die- oder derjenige sogar die gewaltigen Schwierigkeiten in denen er gerade steckt: „Goddamn, this is some serious gourmet shit!“
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